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Donnerstag, 15. Mai 2025, 19:30 Uhr, Schlossgarten Oberes Belvedere

Es gilt das gesprochene Wort.

Sehr geehrte Damen und Herren!
Verehrte Zuseherinnen und Zuseher!
Liebe Österreicherinnen und Österreicher und alle, die hier leben!

Österreich ist frei!

Diese drei Worte hat der damalige Außenminister Leopold Figl am 15. Mai 1955 im Belvedere hinter mir verkündet. Wir alle haben sie noch im Ohr. Diese drei Worte sind mehr als ein historischer Satz. Sie sind ein Vermächtnis.

Freiheit 1955

Denn an diesem Tag bekam Österreich seine lang ersehnte Freiheit, Unabhängigkeit und staatliche Souveränität wieder. An diesem Tag wurde Österreich wieder eine souveräne Republik.

Ein Jahrzehnt der alliierten Besatzung war vorbei, unsere Vorfahren waren wieder Herr im eigenen Haus. Die letzten Kriegsgefangenen und Zivilinternierten sind zurückgekehrt, die von den Sowjets besetzten Wirtschaftsbetriebe wurden zurückgegeben. Und es bedeutete das Ende der quer durch Österreich gezogenen Zonengrenzen.

Junge Menschen erfuhren zum ersten Mal in ihrem Leben, was es bedeutet, in einem freien Land zu leben.

Während andere Länder geteilt wurden, blieb Österreich ein Ganzes. Unser Land wuchs immer stärker zusammen – weil Mut, Einigkeit und Pragmatismus stärker waren als Gräben und Parteigrenzen. Es war die Kraft einer politischen Kultur, die wusste: Nur die Einheit führt zur Freiheit.

  • Mit Mut zum Diskurs über alle weltanschaulichen Grenzen hinweg,
  • mit Mut zu einer Gesellschaft, die Rechte und Pflichten für alle mit sich bringt
  • und mit Mut zur Kompromissfähigkeit. Getragen von einem gemeinsamen Ziel: ein freies und souveränes Österreich.

Diese Haltung war der Schlüssel zum Erfolg. Das Aufeinanderzugehen und das Überwinden von Gräben hat Österreich zu dem gemacht, was es heute ist: eine lebendige, stabile und widerstandsfähige Republik. Und eines der schönsten, wohlhabendsten und sichersten Länder dieser Erde.

Freiheit Heute

Im Jahr 2025 leben wir in einer anderen Welt, steht die Souveränität unserer Republik außer Frage – aber die Bedeutung der Freiheit ist gewachsen.

Denn weltweit erleben wir, dass die individuelle Freiheit, Demokratie und der Pluralismus zunehmend unter Druck geraten, ja sogar angegriffen werden.

Unsere Freiheit, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist eng verwoben mit der Europäischen Union – dem größten Friedensprojekt, das unser Kontinent je hervorgebracht hat. Und gerade weil wir frei sind, haben wir uns 1994 ganz bewusst dafür entschieden, gemeinsam stark zu sein.

Unsere Neutralität, beschlossen im Herbst 1955, wurde dabei ein unverzichtbarer Teil unseres Selbstverständnisses.

Unsere Neutralität war und ist niemals eine Gesinnungsneutralität.
Denn: Neutralität heißt nie Gleichgültigkeit.
Niemals gleichgültig gegenüber Unrecht,
niemals neutral gegenüber Angriffen auf die Freiheit anderer.

Damals wie heute gilt: Die Stärke des Rechts und nicht das Recht des Stärkeren ist unsere Maxime.

Bedrohungen der Freiheit

Freiheit wird nie geschenkt – sie muss immer wieder neu errungen werden.

Heute sehen wir, wie zerbrechlich Freiheit sein kann:
  • in der Ukraine, wo wieder Krieg herrscht und Russland das Völkerrecht missachtet,
  • in Weltgegenden, wo autoritäre Systeme und Diktaturen erstarken
  • und auch bei uns, wo durch Populismus, Polarisierung und Desinformation versucht wird, unsere Gesellschaft zu unterminieren und unsere Demokratie zu destabilisieren.

Gegen diese Entwicklungen müssen wir uns wehren. Wir müssen in unsere Widerstandsfähigkeit und Verteidigungsfähigkeit investieren, auch in die geistige, und gemeinsam unser Lebensmodell bewahren und schützen.

Freiheit als Aufgabe

Freiheit verlangt Mut, dort aufzustehen, wo Unrecht geschieht.
Freiheit verlangt Zusammenhalt, wo Spaltung droht.
Freiheit verlangt Vertrauen, wo Angst den Blick verengen will.

Die Generation von 1955 hat uns gezeigt, was möglich ist: Mit Mut, mit Weitsicht und mit Entschlossenheit haben sie ein neues Österreich aufgebaut.

Heute liegt es an uns, ihr Werk weiterzuführen:

Ein Österreich, das stark ist, weil wir zusammenarbeiten.
Ein Österreich, das frei ist, weil es verantwortungsvoll handelt.
Ein Österreich, das geeint ist, weil es weiß, dass Freiheit niemals durch Ausgrenzung und Hass, sondern nur durch Zusammenhalt bewahrt wird.

Und so stehen wir heute hier, 70 Jahre nach der Unterzeichnung des Staatsvertrages, und erinnern uns an die drei Worte, die in die Geschichte unserer Zweiten Republik eingingen: Österreich ist frei!

Es liegt an uns, dass diese Freiheit lebendig bleibt.
Es liegt an uns, sie zu verteidigen.
Und es liegt an uns, sie zu gestalten.

Österreich ist frei!
Machen wir diese Freiheit jeden Tag neu wahr.

Vielen Dank!