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13. Juni 2025, Benediktinerstift Göttweig

Es gilt das gesprochene Wort.

Hochwürdigster Abt Schöder!
Sehr geehrte Frau Landeshauptfrau, liebe Hanni!
Sehr geehrter Herr Premierminister Scheljaskow, lieber Rossen!
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Recean, lieber Dorin!
Sehr geehrte Damen und Herren,
geschätzte Gäste!

Erlauben Sie mir, dass ich aus aktuellem Anlass auf die jüngsten Entwicklungen im Nahen Osten eingehe: Die Berichte, die uns seit der Nacht erreichen, sind äußerst besorgniserregend. Die Situation ist hochvolatil und hat großes Eskalationspotential – wir rufen alle Seiten zu äußerster Zurückhaltung und Besonnenheit auf. Eine weitere Eskalation des Konflikts ist das Letzte, was gerade diese Region jetzt braucht.

Das iranische Atomprogramm ist Anlass zu enorm großer Sorge, wir fordern eine Rückkehr zur Diplomatie. Ein atomares Wettrüsten in der Region muss unter allen Umständen verhindert werden. Der Krisenstab im Außenministerium evaluiert die Situation laufend und steht in engem Kontakt mit unseren Botschaften in der Region. Auch das Lagezentrum im BMLV beobachtet die Lage rund um die Uhr.

Meine Damen und Herren,
das diesjährige Europa-Forum Wachau findet unter schwierigen Umständen statt. Noch immer steht das gesamte Land, stehen wir alle unter dem Eindruck des Amoklaufes vom 10. Juni. Wir sind erschüttert über den brutalen Gewaltakt, durch den am Dienstagvormittag zehn unschuldige Menschen viel zu früh aus dem Leben gerissen wurden.

In Zeiten des schier unermesslichen Schmerzes und des enormen Leides war etwas sehr tröstend: die Solidarität und das Mitgefühl aus ganz Europa. Unglaublich viele Kolleginnen und Kollegen haben mir geschrieben, mich angerufen und uns ihre Unterstützung angeboten. Dafür möchte ich mich auch an dieser Stelle noch einmal von Herzen bedanken.

Wenn wir heute hier beim Europa-Forum Wachau zusammenkommen, dann untermauert das ganz eindrücklich, welchen Wert die Mitgliedschaft in der Union für uns hat. Es ist eine Solidargemeinschaft, in der man Seite an Seite statt Rücken an Rücken steht, ganz besonders in schwierigen Zeiten.

Das Europa-Forum Wachau ist seit Jahren ein wichtiger Ort des europäischen Dialogs, hier, in einer der schönsten Kulturlandschaften Österreichs. Und es ist auch symbolisch, dass wir uns hier treffen – in einer Region, die von der europäischen Integration besonders profitiert hat.

Für ein Land wie Österreich ist die Europäische Union von enormer Bedeutung. Das gilt zunächst wirtschaftlich: Rund zwei Drittel unserer Exporte gehen in die EU, unzählige Arbeitsplätze hängen am europäischen Binnenmarkt. Ohne die EU wäre Österreich heute nicht der wohlhabende und erfolgreiche Staat, der es ist.

Aber die EU bedeutet für uns noch mehr: Sie gibt uns Gewicht in der Welt. Als Teil einer Gemeinschaft von 27 Ländern können wir die globale Entwicklung mitgestalten. Allein wären wir nur ein mittelgroßes Land in der Mitte des Kontinents. Aber 1994 haben wir uns ganz bewusst dafür entschieden, gemeinsam stark zu sein.

Diese Bedeutung der EU wird in einer Zeit besonders deutlich, in der sich die Welt dramatisch verändert. Die geopolitischen Verschiebungen, der Aufstieg neuer Mächte, die Herausforderungen durch autoritäre Regime – all das können wir nur gemeinsam bewältigen.

Europa steht heute vor großen Herausforderungen, die wir dringend lösen müssen. Neben dem Einsatz für Frieden in Europa und der Welt sehe ich unmittelbar drei zentrale Bereiche: die Stärkung unserer Wettbewerbsfähigkeit, die Lösung der Migrationsfrage und unseren Einsatz für den Frieden in Europa und der Welt.

Zur Wirtschaft: Die europäische Wirtschaft schwächelt, unsere Wettbewerbsfähigkeit gerät ins Hintertreffen. Deshalb begrüße ich die Bemühungen von Präsidentin von der Leyen sehr – ihre Initiativen zum Bürokratieabbau, zur Stärkung des Kapitalmarkts und zum Abbau der Hürden im Binnenmarkt gehen in die richtige Richtung. Hier liegt es an uns gemeinsam, unsere Hausaufgaben zu machen.

Zugleich können wir selbstbewusster auftreten. Ja, wir brauchen die USA als Partner und Verbündeten. Aber wir sollten uns auch nicht kleiner machen, als wir sind. Europa kann auf Augenhöhe mit allen Weltmächten agieren – das ist unser Anspruch und das müssen wir auch umsetzen. Als größter Binnenmarkt der Welt können, werden und müssen wir als EU stark und selbstbewusst auftreten. 440 Millionen Konsumentinnen und Konsumenten sind eine Macht.

Beim Kampf gegen die illegale Migration sehe ich gute Fortschritte. Und viele dieser wichtigen Impulse sind von Österreich ausgegangen. Hier möchte ich besonders Magnus Brunner hervorheben, der als EU-Kommissar für Migration einen hervorragenden Job macht. Seine Rückkehrverordnung ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.

Ich danke auch Bulgarien, das seinen Einsatz für einen effektiven Außengrenzschutz deutlich verstärkt hat. Lieber Rossen, Du kannst auf die volle Unterstützung Österreichs zählen. Denn ein Europa ohne Grenzen nach innen gibt es nur bei robusten Grenzen nach außen.

Aber wir brauchen noch mehr, denn unser Ziel ist klar: Die Zahl der illegalen Ankünfte muss auf null gebracht werden. Ich begrüße, dass Deutschland unter Friedrich Merz das nun auch erkannt hat und wir gemeinsam am Boden der Rechtsordnung an einem Strang ziehen. Um unser Ziel zu erreichen, müssen wir auch neue Diskussionen anstoßen. Aus diesem Grund habe ich gemeinsam mit acht weiteren EU-Mitgliedstaaten einen offenen Brief unterzeichnet, der eine Diskussion über internationale Konventionen und eine authentische Interpretation der EMRK fordert. Das ist selbstverständlich kein Angriff auf die Gerichte, im Gegenteil, wir wollen sie stärken.

Wir dürfen als Rechtsstaaten und stabile Demokratien solchen Diskussionen auch nicht ausweichen. Wer hier leben will, muss unsere Werte, Prinzipien und Regeln akzeptieren. Das ist keine Bitte, sondern Grundvoraussetzung für ein friedliches Zusammenleben.

Wenn es zum Thema Frieden kommt, so dürfen wir auch als militärisch neutrales Land nicht naiv sein. Denn diese Neutralität schützt uns nicht. Gleichzeitig ist aber auch wahr: Wenn unsere Neutralität wegfallen würde, gäbe es dadurch keine zusätzliche Sicherheit. Meine Damen und Herren, unsere militärische Neutralität bedeutet niemals politische Neutralität. Niemals Gesinnungsneutralität. Niemals Gleichgültigkeit. Wir können zwischen Aggressor und Opfer unterscheiden.

Wir sind darauf angewiesen, dass weiterhin die Stärke des Rechts Vorrang hat vor dem Recht des Stärkeren. Lieber Dorin, sie wissen noch viel besser, was das heißt. Ich darf Ihnen auch hier die Unterstützung Österreichs für Moldau versichern.

Meine Damen und Herren,
mit voller Überzeugung zähle ich mich zu den Menschen, die trotz der Herausforderungen unserer Zeit ganz nach Karl Popper die Zuversicht und den Optimismus zur Pflicht erklären. Europa ist Weltmeister in der Selbstkritik – wir sind aber deutlich stärker, als wir glauben.

Wir haben hervorragende Universitäten, innovative Unternehmen und fleißige Menschen. Und bei allen Herausforderungen bin ich überzeugt, dass Europa und Österreich noch immer die lebenswertesten Orte auf der Welt sind. Und es liegt an uns allen, dass das auch so bleibt.

Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass wir alle Voraussetzungen dafür haben, um die Herausforderungen und Probleme zu bewältigen, die vor uns liegen. Gehen wir aufeinander zu, hören wir einander zu, akzeptieren wir uns in unserer Verschiedenartigkeit.

Wir werden die Herausforderungen bewältigen, wenn wir mutig sind und wenn wir hören, was unsere Bürgerinnen und Bürger besorgt. Sie wollen ein Europa, das sie schützt, das ihre Arbeitsplätze sichert und ihnen die Freiheit gibt, ein selbstbestimmtes Leben zu führen.

Dieses Europa werden wir gemeinsam gestalten – hier in der Wachau, in Österreich, in ganz Europa.

Vielen Dank!